GEva Select
Gesetzesevaluation von Selektivverträgen
Forschungsprojekt GEva Select – Gesetzesevaluation von Selektivverträgen
Seit ca. zehn Jahren werden Selektivverträge – individuelle Direktverträge zwischen Leistungserbringern und einzelnen Krankenkassen – als Alternative zum kollektivvertraglichen System eingesetzt. Sie sollen zur Qualitätsverbesserung der medizinischen Versorgung, zu Effizienzsteigerungen und zu Kostensenkungen führen. Allgemein scheint jedoch die Ansicht vorzuherrschen, dass Direktverträge bislang die in sie gesetzten Erwartungen nicht beziehungsweise nur teilweise erfüllt haben. Es bedarf daher einer wissenschaftlichen Untersuchung, die die Wirksamkeit und Ursachenforschung für nicht erreichte Ziele der Selektivverträge zum Gegenstand hat. Dies ist Inhalt dieses Projektes.
Das Ziel des Forschungsvorhabens ist es, eine verbesserte Gesetzgebung für die Umsetzung von selektivvertraglichen Strukturen im Gesundheitswesen zu ermöglichen. Die Ziele des Gesetzgebers sollen in der Realität effektiver umgesetzt werden. Das Projekt ist interdisziplinär aufgestellt: Es erfolgt ein Transfer betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse auf den juristischen Entstehungsprozess der Inhaltes von Gesetzen. Ökonomische Ansatzpunkte sind hier unter anderem die Analyse des Zielerreichungsgrades der Gesetzgebung und die Antizipation über das ökonomische Verhalten der Normadressaten. Dabei sollen mit Hilfe einer empirischen Erhebung Erfahrungen auf dem Gebiet der Selektivverträge im ambulanten Sektor gewonnen und auf den stationären Bereich übertragen werden. All das erfolgt im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung (auch "Gesetzesevaluation") sowie unter besonderer Beachtung psychologischer und soziologischer Erkenntnisse.
Der betroffene Personenkreis umfasst den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), in der rund 70 Millionen Bundesbürger und damit ca. 89 Prozent der Bevölkerung versichert sind mit einem Ausgabenvolumen von ca. 160 Mrd. Euro (GKV-Spitzenverband, 2010).
Das Projekt GEva Select erhält Fördermittel, kofinanziert aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Mitteln des Landes Niedersachsen. Die Finanzierung wurde nach den Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Innovationen und einer wissensbasierten Gesellschaft durch Hochschulen bewilligt und fällt in die Förderperiode von 2007–2013.
Die Antragstellung der Hochschule Osnabrück wurde durch die AGiP unterstützt. Die Arbeitsgruppe für Innovative Projekte (AGIP) wurde mit ihrer Geschäftsstelle im Jahre 1991 als Instrument der fachhochschulbezogenen Forschungsförderung beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) implementiert. Mit Hochschullehrerinnen und -lehrern von Universitäten und Hochschulen in und außerhalb Niedersachsens ist sie fachübergreifend besetzt.
Übersicht über Einzelverträge in der GKV sowie die entsprechende Gesetzesnorm:
- §§ 63- 65 SGB V
Modellvorhaben
- § 73b SGB V
Hausarztzentrierte Versorgung
- § 73c SGB V
Besondere ambulante ärztliche Behandlung
- § 127 Abs. 1 SGB V
Hilfsmittelverträge
- § 130a Abs. 8 SGB V
Rabattverträge
- § 130c SGB V
Verträge mit pharmazeutischen Unternehmern
- § 132d SGB V
spezialisierte ambulante Palliativversorgung
- §§ 137f-g SGB V
Strukturierte Behandlungsprogramme (DMP)
- §§ 140a ff SGB V
Integrierte Versorgung
Erläuterung zu Direktverträgen:
Vor ca. zehn Jahren begann der Reformprozess, mittels Direktverträge wettbewerbliche Elemente in der Gesundheitsversorgung zu etablieren. Als synonym zum Begriff der Direktverträge gelten Selektiv- oder Einzelverträge, letzterer wird durch den Gesetzgeber verwendet1. Indem Krankenkassen direkt mit einzelnen Leistungserbringern Verträge über Art, Qualität und Preis der Leistungspakete abschließen, soll eine möglichst zielgerichtete, effiziente, qualitativ hochwertige Versorgung sichergestellt werden. Die Passgenauigkeit, mit der vielfältige Lösungen und Leistungen seitens der Leistungserbringer angeboten werden, stellt ihre wettbewerbliche Herausforderung und Stärke dar. Denn die Krankenkassen sind bestrebt, Vertragspartner auszuwählen, die ein preisgünstiges Angebot in der besten oder festgeschriebenen Qualität erbringen. Sie nehmen damit Einfluss, unter welchen Bedingungen Leistungen erbracht werden. Grundsätzlich erfolgt die Abrechnung dieser Leistungen direkt zwischen den Vertragspartnern, und zwar in der vertraglich vereinbarten Höhe. Dritte, wie z. B. Kassenärztliche Vereinigungen, sind nicht involviert 2.
Erläuterung zu Gesetzesevaluation:
Nach Böhret/Konzendorf sind dies die Eigenschaften für eine funktionsfähige Gesetzgebung:
(1) Das Gesetz wirkt in der Form, wie es der Gesetzgeber beabsichtigt, (2) es besteht bei den Adressaten Akzeptanz, (3) die Rechtsvorschrift wird akzeptiert und befolgt und (4) auch die finanzielle Seite kann, wie vorab erwartet beziehungsweise festgelegt, eingehalten werden.
Häufig können die genannten Eigenschaften mit der Gesetzgebung jedoch nicht erreicht werden und es stellen sich unerwünschte oder überraschende Effekte nach Einführung eines Gesetzes ein.3
Ein Instrument zur Überprüfung von Gesetzen in unterschiedlichen Stadien der Gesetzgebung ist die Gesetzesfolgenabschätzung (GFA). Mit dem Instrument wird der Weg zu einer absichtsgetreuen Rechtsvorschrift geebnet, um den Abstand zwischen dem Anspruch an das Gesetz und der Wirklichkeit zu mindern und die Effektivität der Gesetzgebung zu steigern. Regelungsvorhaben sind auf ihre anzunehmenden Folgen und mögliche Nebeneffekte zu überprüfen und zu beurteilen.
Der Begriff der Gesetzesfolgenabschätzung wird international unterschiedlich verwendet, sodass häufig auch von der Gesetzesevaluation die Rede ist. Im Englischsprachigen wird der Ausdruck regulatory impact assessment (RIA) verwendet. Da sich der Begriff in der Schweiz von dem Französischen „évaluation“ beziehungsweise dem Englischen „evaluation“ ableitet, wird dort von Gesetzesevaluation gesprochen. In Deutschland findet, zurückgehend auf die Speyerer Schule von Professor Böhret, die Bezeichnung Gesetzesfolgenabschätzung Anwendung.4
Insgesamt gibt es drei Bausteine der Gesetzesfolgenabschätzung, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Gesetzgebung ansetzen:
- die prospektive Gesetzesfolgenabschätzung (pGFA) als ein Verfahren zur Prüfung von Regelungsalternativen
- die begleitende Gesetzesfolgenabschätzung (bGFA) zur folgenorientierten Prüfung des Regelungsentwurfs
- die retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung (rGFA) als nachträgliche Bewährungsprüfung der geltenden Rechtsvorschrift
Bei der Gesetzesfolgenabschätzung kann zwischen einem durchgängigen Verfahren über alle drei Module und einer Einzelanwendung der einzelnen Teile entschieden werden.5
Quellen:
1) In § 73b VII 1, § 73c VI 1, § 140d II 1 SGB V wird zur Beschreibung des Leistungsbedarfs das Adjektiv einzelvertraglich verwendet. Im Übrigen bezeichnet das Gesetz die Direktverträge schlicht als Verträge.
2) Hierzu Boecken, in Sodan, Krankenversicherungsrecht 2010, § 19; Rdnr. 33.
3) Vgl. Böhret, C. / Konzendorf, G. (2001), S. 1.
4) Vgl. Bussmann, W. (2006), S. 42.
5) Vgl. Böhret, C. / Konzendorf, G. (2001), S.2.
Das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V)
Die Erklärung des Bundesministeriums für Gesundheit zum Begriff Einzelvertrag
Die Erklärung des Bundesministeriums für Gesundheit zur Integrierten Versorgung
Internetauftritte unserer Projektpartner:
Helmut Hildebrandt -Gesundes Kinzigtal, Evaluations-Koordinierungsstelle (EKIV) an der Abt. f. Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Freiburg Evaluation der "Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal"
Stefan Eckardt, Techniker Krankenkasse
Dr. Anneke Riehl, Charité Universitätsmedizin Berlin
Bettina Charlotte Belker, Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule Osnabrück
Michael Klumpe, GewiNet, Kompetenzzentrum Gesundheitswirtschaft e. V.
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