„Der Wert akademischer Bildung für die Pflegepraxis wird in den Gesundheitseinrichtungen nicht mehr bestritten“ Dienstag, 21. Dezember 2021

Prof. Dr. Elke Hotze gehört zu den ausgewiesenen Pflegeexpertinnen der Hochschule Osnabrück

40 Jahre Pflege an der Hochschule Osnabrück: Als das erste Studienangebot in der Pflege 1981 an den Start ging, war die Skepsis groß. Viele hielten wenig von der Akademisierung der Gesundheitsberufe. Doch Verantwortliche und Lehrende der Hochschule Osnabrück erkannten die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Fundierung und leisteten Pionierarbeit. Seit 1997 zählt Professorin Dr. Elke Hotze zu den ausgewiesenen Pflegeexpertinnen der Hochschule. Im Interview spricht sie über die Anfänge der akademischen Profession, Meilensteine, Hürden und ihre Wünsche für die Zukunft.

Vor 40 Jahren bot die Hochschule Osnabrück erstmals ein Zertifikatsprogramm für Pflegefachkräfte an, der Beginn eines langen und noch nicht abgeschlossenen Akademisierungsprozesses. Wie war die Ausgangslage?

Es reichte damals ein Blick in andere europäische Länder und in die USA, um zu sehen, dass dort die Akademisierung der Pflege und die Pflegewissenschaft schon weit fortgeschritten und etabliert waren. Erste Pflegetheorien wurden bereits in den 1950er-Jahren entwickelt, zum Beispiel von der amerikanischen Pflegewissenschaftlerin Hildegard Peplau, die ihre Theorie der interpersonalen Beziehung in der Pflege entwickelte, also die Idee der Pflege als Beziehungsarbeit. Zudem stieß der Deutsche Wissenschaftsrat damals die Diskussion an, ob Pflegeberufe nicht in den Fächerkanon der Hochschulen aufgenommen werden könnten.

Davon waren nicht alle überzeugt. Widerstand kam von den Funktionären der Berufsverbände und aus dem medizinischen Bereich, von Ärztinnen und Ärzten. Die Hochschule Osnabrück begann dennoch mit der Planung eines Studienangebots.

Entscheidend war an dieser Stelle der Wille der Hochschulleitung, also unseres ehemaligen Präsidenten Prof. Dr. Erhard Mielenhausen, diese Aufgabe zu übernehmen und in die Tat umzusetzen.

Mit Ruth Schröck wurde 1987 die erste pflegespezifische Professur an einer deutschen Hochschule besetzt. Was bedeutete das für die Pflege insgesamt und für die Hochschule Osnabrück?

Das war ein entscheidender Schritt für den Beginn der Akademisierung der Pflege in Deutschland. Prof. Dr. Ruth Schröck hat viele Debatten angestoßen, zum Beispiel die, ob Pflegewissenschaft eine Praxisdisziplin ist oder nicht. Sie hat das natürlich nicht ganz allein bewirkt, sondern es gab weitere Protagonistinnen. In der Hochschule Osnabrück war das vor allem Prof. Dr. Doris Schiemann, die die Studiengänge wesentlich entwickelt und vorangebracht hat. Zudem sind auch Kolleginnen und Kollegen aus dem damaligen Fachbereich Wirtschaft, allen voran Manfred Semrau und Manfred Haubrock zu nennen. Aber als erste auf eine Pflegeprofessur berufene Frau hat Ruth Schröck natürlich auch für die Sichtbarkeit unserer Hochschule für die Disziplin Pflege eine große und wichtige Rolle gespielt.

Mit der Entscheidung, Pflegewissenschaft als Disziplin zu etablieren, stieß die Hochschule Osnabrück auch die Akademisierung weiterer Gesundheitsberufe wie den Akademisierungsprozess der Hebammen, der Logopäden sowie der Ergo- und Physiotherapeuten an. Wie kam der Stein ins Rollen?

Wie so oft waren es hier engagierte Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Impulse setzten. Für die Hebammen war das Prof. Dr. Friederike zu Sayn-Wittgenstein, die ab 1997 die Sache der Hebammen vorantrieb. Die Akademisierung der Therapieberufe wurde vor allem von Prof. Manfred Semrau befördert. Damit wurde auch der Grundstein für die so wichtige Interdisziplinarität im Gesundheitsbereich an unserer Hochschule gelegt.

Heute bietet die Hochschule Osnabrück drei Bachelor- sowie zwei weiterführende Masterprogramme an, in denen Pflegende sich weiter qualifizieren können. Die Akademisierung der Pflegeberufe stößt jedoch nach wie vor nicht überall auf Zuspruch. Warum ist das so?

40 Jahre ist ja eine lange Zeit, in der einiges in Gang gekommen ist. Das zeigt sich in erster Linie daran, dass es bundesweit eine Vielzahl von Studiengängen gibt und nach der letzten Gesetzesänderung des Berufsgesetzes an vielen Standorten ein primärqualifizierendes Studium angeboten wird. Es zeigt sich auch an vielen pflegespezifischen Forschungsprojekten, auch wenn wir den Stand der Akademisierung und Wissenschaftsentwicklung im Vergleich zu anderen Ländern mit langer Tradition in dieser Zeit sicher nicht ganz aufholen konnten.

Was über all die Jahre geblieben ist, ist die Skepsis eines Teils der Berufsgruppe vor allem im Hinblick auf den Wert von akademischer Bildung für die Praxis. Was aber vor circa 25 Jahren noch ungläubiges Staunen hervorrief, ist – und das ist erfreulich – in vielen Gesundheitseinrichtungen, zum Beispiel auch in den großen Kliniken, längst als Notwendigkeit und Chance zur Qualitätsverbesserung angekommen und wird nicht mehr bestritten.

Warum sollte zumindest ein Teil der Beschäftigten in der Pflege studiert haben?

Im Moment schauen Viele auf die Intensivstationen, es ist offensichtlich, dass man eine hohe Kompetenz braucht, um diese Aufgaben zu bewältigen. Aber das trifft auch auf viele andere Handlungsfelder der Pflege zu. Nehmen wir die Unterstützung von Pflegenden Angehörigen in der häuslichen Pflege, die Begleitung sterbender Menschen oder die Mobilisierung älterer Patientinnen nach einer Operation, die Betreuung schwerkranker Kinder und die Begleitung ihrer Eltern in dieser Lebensphase. Diese Herausforderungen lassen sich nicht mit Rezeptwissen bewältigen, hier muss man auf aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung zurückgreifen.

Was braucht es noch, um die Qualität der Pflege aber auch die Arbeitsbedingungen und damit die Attraktivität der Pflegeberufe zu verbessern?

Die Wertschätzung und Sichtbarkeit der Pflegeberufe sind ein großes Thema. Das Klatschen auf dem Balkon in der ersten Lockdownphase der Coronapandemie reichte dafür nicht aus. Wir sehen in der Forschung zum allgemeinen gesellschaftlichen Ansehen unterschiedlicher Berufe, dass die Pflege zwar angesehen ist, dennoch fehlt es ihr an Nachwuchs, viele Pflegefachkräfte reduzieren ihre Arbeitszeit oder verlassen den Beruf ganz. Da spielt zum einen die Vergütung eine Rolle, aber auch die Arbeitsorganisation, zum Beispiel, ob man Pflegearbeit mit familiären Verpflichtungen vereinbaren kann, ob einem im therapeutisch-pflegerischen Team Mitsprache und Entscheidungsbefugnisse zugestanden werden. Da gibt es viele Stellschrauben, an denen zu drehen ist, um die Abwanderung aus dem Beruf zu stoppen.

Die Förderung wissenschaftlichen Nachwuchses ist zentral für den weiteren Akademisierungsprozess. Welche Möglichkeiten haben Absolventinnen und Absolventen bei uns?

Unsere Masterstudiengänge sind der erste Schritt, um sich weiter zu qualifizieren. Zudem können wir auf eine sehr erfolgreiche Kooperation mit der Universität Witten Herdecke durch das Promovierenden-Kolleg FamiLe zurückblicken. Aktuell können Absolvierende im Projekt ROSE oder auch in Einzelprojekten promovieren. Mit unserer Kommission für Nachwuchsförderung adressieren wir dieses Thema explizit. Ein schöner Beleg für unseren Erfolg ist, dass Absolventen und Absolventinnen der Hochschule Osnabrück bundesweit bereits mehr als zehn Professuren besetzen.

Wie sieht Ihre Vision für die Pflege im Jahr 2060 aus?

Ich sehe die Pflege 2060 nicht mehr vorrangig als Krankenpflege am Krankenbett im Krankenhaus, sondern in der ambulanten pflegerischen Versorgung von Menschen in ihrem jeweiligen Wohnquartier. Meine Idealvorstellung für eine Stadt wie Osnabrück ist, dass Menschen mit Pflegebedarf in altersgemischten Nachbarschaften leben, sich so lange es geht gegenseitig unterstützen, damit die meisten Menschen auch in ihrer letzten Lebensphase zu Hause bleiben können. Akademisch ausgebildete Pflegende leisten hierzu die notwendige Unterstützung, indem sie die Versorgung steuern und koordinieren, Angehörige beraten, Vernetzungsmöglichkeiten schaffen, Nachbarschaft mobilisieren. Sie arbeiten in interdisziplinären Teams mit Sozialarbeitern, Therapeuten und Ärzten zusammen  und bieten angemessene Lösungen für ein Wohnquartier aus einer Hand.

Welche Visionen für die Pflege im Jahr 2060 haben die Studierenden der Gesundheitsberufe an der Hochschule Osnabrück? Davon berichten sie hier selbst.

Von: Isabelle Diekmann