"Trend zu Populismus und Meinungs-Echokammern" Mittwoch, 20. November 2024

Wie können wir uns für den demokratischen Diskurs einsetzen? Neben guten Argumenten, die auch auf Evidenz und Zahlen fußen sollten, gehört für Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Andreas Faatz vor allem Zuhören, Differenzieren und Abwägen dazu. Foto: Hochschule Osnabrück

Wissenssnack mit Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Andreas Faatz: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Prof. Dr. Andreas Faatz ist Wirtschaftsinformatiker an der Hochschule Osnabrück und organisiert in diesem Jahr gemeinsam mit Prof. Dr. Hermann Heußner und dem Projekt Gesellschaftliches Engagement das Osnabrücker Demokratieforum am 28. November. Warum er sich für den demokratischen Diskurs einsetzt und wie er die aktuelle Situation bewertet, erzählt er im Interview zum Wissenssnack.
 

Herr Faatz, ist unsere Demokratie in Gefahr?

Faatz: Die Demokratie steht vor ernsten Herausforderungen durch erstarkende Populisten und Feinde der Freiheit, die mit Desinformationen und Hass unsere Diskurse gefährden. Beides verkauft sich nur zu gut. Wir sehen international Beispiele von Gesellschaften mit eigentlich starker demokratischer Tradition, in denen ein demokratisches Gespräch kaum noch möglich ist.
 

Sie sind Wirtschaftsinformatiker. Welche Gefahren sehen Sie für die Demokratie aus Ihrer Fachlichkeit heraus? Was bewirken Fakenews und Hassbotschaften im Netz?

Wenn ich mir als Statistiker die Wahlergebnisse bei jungen Wählerinnen und Wählern ansehe und zudem als KI-Lehrer die wachsenden Möglichkeiten, quasi zum Nulltarif, Desinformation zu verbreiten, dann gehe ich von einem verfestigten Trend zu Populismus und zu Meinungs-Echokammern aus. Es gibt jedoch auch statistische Evidenz dafür, dass Deutschland noch nicht annähernd so polarisiert ist, wie es etwa die USA sind – es lohnt sich aus meiner Sicht also, jetzt erst recht in der Breite am demokratischen Dialog zu arbeiten und neue Formate des Meinungsaustauschs zu erproben.
 

Pauschale, undifferenzierte Behauptungen kommen bei vielen Bürger*innen gut an. Wie kann man erfolgreich dagegen argumentieren?

Ich bin bei dieser Frage überhaupt nicht am Ende aller notwendigen Überlegungen angelangt, aber ich bin mir vor meinem beruflichen Hintergrund sicher: Es hilft, Evidenz und Zahlen zu kennen und erklären zu können; auch die Zahlen, die man hat, argumentativ mit anderen Größen vergleichen zu können.

Nennen Sie uns ein Beispiel

Während und seit der Pandemie habe ich zahlreiche fruchtbare Gespräche zu quantifizierbaren Risiken geführt, auch mit sehr impffernen Menschen. Unter anderem darüber, dass die Wahrscheinlichkeiten, mit oder ohne Impfung schwer an einem Infekt zu erkranken und dann im Krankenhaus zu landen, etwas anderes sind als die Wahrscheinlichkeiten, als schwer am Infekt erkrankte Person im Krankenhaus geimpft oder nicht geimpft zu sein. Nur eine dieser beiden Wahrscheinlichkeiten, die erstere, erwies sich als wirkliche Risikokennziffer. Die Wirksamkeit der Impfung zeigte sich nämlich im – idealerweise nach Altersgruppen differenzierten – Vergleich der Wahrscheinlichkeit, mit Impfung schwer zu erkranken mit andererseits der Wahrscheinlichkeit, ohne Impfung schwer zu erkranken. Es ist Mathe. Und es hat politische Konsequenzen.

Im Umgang mit Zahlen ist nicht jede und jeder so geübt. Wie kann man außerdem miteinander ins Gespräch kommen?
Hinzu kommt als Bedingung für ein demokratisches Gespräch, zumindest solange man mit Wähler*innen spricht und nicht mit “Populismusunternehmer*innen”, das man  schon versuchen muss, das Argument, das so gut ankommt, aus der speziellen Situation der*des Diskussionspartners*Diskussionspartnerin zu verstehen. Das Ganze braucht, gerade wenn Zahlen und Wahrscheinlichkeiten hinzukommen, vor allem Zeit. Man muss also dranbleiben an einem solchen Austausch, das ist nicht nur ein Einzelgespräch, sondern deutlich mehr.
 

Welche Kommunikationsräume gibt es für eine Auseinandersetzung mit Demokratiefeind*innen und Populist*innen? Und was sollte man lieber lassen?

Hier unterscheide ich zwischen den vom Soziologen Steffen Mau als “Populismusunternehmer*innen” bezeichneten Politiker*innen, die Profit aus einer wachsenden Polarisierung schlagen, und denjenigen, die sie wählen. Die direkte Auseinandersetzung mit Populist*innen liegt für mich auf der Ebene des Faktencheckens, echte Demokratiefeinde sind etwas fürs Justizsystem.
Den eigentlichen lebendigen demokratischen Kommunikationsraum müssen wir mit den Wähler*innen und nicht zuletzt auch mit Nichtwähler*innen hinbekommen – und das heißt neben Argumentieren ebenfalls, so schwierig es auch sein mag: Zuhören, Differenzieren, Abwägen.
 

Demokratiefeinde und Populisten – vor den Toren der Macht - Thema des diesjährigen Osnabrücker Demokratieforums

Wie weiter mit dem demokratischen Dialog? Darüber diskutieren Experten der Hochschule Osnabrück am 28. November, ab 10 Uhr, im Gebäude CN der Hochschule, gemeinsam mit der Osnabrücker Oberbürgermeisterin Katharina Pötter und der stellvertretenden Chefredakteurin des SPIEGEL, Dr. Melanie Amann. Ihr Thema: „Demokratiefeinde und Populisten – vor den Toren der Macht.
Eine Anmeldung ist möglich über die Website: Osnabrücker Demokratieforum | Hochschule Osnabrück

Von: Isabelle Diekmann