Millionenförderung für weitere Forschung zur Musikphysiotherapie an der Hochschule Osnabrück Montag, 30. März 2020

Frau spielt Cello. Auf ihren Armen sind durch Bodypainting ihre Muskeln zu sehen.
Mithilfe von biomechanischen Bewegungsanalysen soll bundesweit die physiotherapeutische Behandlung von darstellenden Künstlerinnen und Künstlern verbessert werden.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Projekt „RefLabPerform“ (Referenzlabor Performing Artists) mit rund 1,1 Millionen Euro. Es soll die Behandlung von darstellenden Künstlerinnen und Künstlern bundesweit weiter voranbringen.

Im Forschungsfeld der Physiotherapie für Musikerinnen und Musiker ist die Hochschule Osnabrück bundesweit eine der ersten Adressen. Seit wenigen Monaten erweitern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule ihre Expertise in diesem Bereich im Forschungsprojekt „RefLabPerform“. „RefLabPerform“ steht für Referenzlabor für Performing Artists (Performing Artists – darstellende Künstlerinnen und Künstler). Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit mehr als 1,1 Millionen Euro gefördert. „Wir werden unsere klinischen Erfahrungen, die wir in der Behandlung darstellender Künstlerinnen und Künstler über Jahre gesammelt haben, mit den Ergebnissen verbinden, die wir im Labor bei der biomechanischen Bewegungsanalyse sammeln“, erklärt Prof. Dr. Christoff Zalpour, Sprecher der Forschungsgruppe.

 

Hochkomplexen Sensorsystemen und Infrarot-Kameras kommen zum Einsatz

 

Prof. (in Verw.) Dr. Dirk Möller veranschaulicht das Projektvorhaben am Beispiel einer Cellistin. „Wenn sie aufgrund von Schmerzen beim Spielen zu uns kommt, wird sie zunächst händisch im Sitzen, Stehen, mit und ohne Instrument befundet. Das bedeutet: Ich stelle als Physiotherapeut Hypothesen auf, wo die eigentliche Ursache des Problems liegt.“ Im Anschluss erfolgt die Erhebung der biomechanischen Daten mithilfe von hochkomplexen Sensorsystemen im Labor. Hier können Infrarot-Kameras eingesetzt sowie Sensoren zur Erfassung der Bewegung oder Muskelaktivität auf Körpersegmente wie Hand und Arm geklebt werden. Die Sensoren berechnen daraus beispielsweise Gelenkstellung, Bewegungsgeschwindigkeit oder Muskelaktivität.

Die gesammelten Daten werden elektronisch verarbeitet und zusammengeführt. So kann der Physiotherapeut seine Hypothesen mit der biomechanischen Analyse abgleichen, die Behandlung optimieren und zusätzlich eine geeignete Präventions- und Rehabilitationsstrategie ableiten. Während der Behandlung können weitere Laboranalysen gemacht werden, sodass Veränderungen an Muskeln und Gelenken sofort erkennbar sind. So können auch die Musizierenden schnell verstehen, wo ihr Problem liegt. „Ein aufgeklärter Patient versteht viel besser, was er für seine Gesundheit machen kann“, erklärt Möller.

 

Mangelversorgung von darstellenden Künstlerinnen und Künstlern

 

Es besteht großer Bedarf an physiotherapeutischen Behandlungen von darstellenden Künstlerinnen und Künstlern, zu denen neben den Instrumentalistinnen und Instrumentalisten auch die Bereiche Tanz und Gesang zählen. In Deutschland gibt es laut der Deutschen Orchestervereinigung 129 Berufsorchester (Stand Januar 2020), die hohen Belastungen durch Üben, Proben und Auftritte ausgesetzt sind. Obwohl ein hoher Bedarf besteht, sind nur wenige Physiotherapiepraxen auf die individuelle Behandlung von Musizierenden ausgelegt. Ziel des Projektes ist es daher, Physiotherapie für darstellende Künstlerinnen und Künstler bundesweit als eigene Disziplin wie beispielsweise Sportphysiotherapie weiter zu etablieren und der Mangelversorgung entgegenzuwirken.

Durch das Referenzlabor können erstmalig biomechanische Daten in die physiotherapeutische Analyse automatisiert einbezogen werden. Anschließend können individuelle Handlungsanleitungen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in ganz Deutschland gegeben werden, sodass der Patient oder die Patientin auch am Heimatort behandelt werden kann. „Wir können eine Sprache mit Therapeutinnen und Therapeuten sprechen, die, selbst wenn sie keine Musikphysiotherapieausbildung haben, wissen, was das Problem ist und wie es behandelt werden kann“, erklären Zalpour und Möller.


Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christoff Zalpour
E-Mail: c.zalpour@hs-osnabrueck.de
Telefon: 0541 969-3489

Die Musikphysiotherapie im Film.


Zum Hintergrund: Die Musikphysiotherapie hat an der Hochschule Osnabrück eine längere Geschichte. Im Institut für angewandte Physiotherapie und Osteopathie gibt es bereits seit 2007 die Musikersprechstunde. 2012 nahm ein Forschungsteam im Binnenforschungsschwerpunkt „MusikPhysioAnalysis“ seine Arbeit auf. 2012 und 2018 war die Hochschule Gastgeberin des internationalen Musikphysio-Kongresses, was die starke internationale Vernetzung zeigt. Die Forschungserfolge basieren auch auf dem etablierten Austausch mit Partnern aus Wissenschaft und Praxis. Dazu gehören die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, die Deutsche Orchester-vereinigung, die University of Sydney, die Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin, die Performing Arts Medicine Association sowie die Firma Velamed Medizintechnik GmbH.
Insgesamt forschen im Projekt „RefLabPerform“ sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule Osnabrück in einem interdisziplinären Team. Neben Zalpour und Möller gehören Prof. Dr. Nikolaus Ballenberger, Prof. Dr. Harry von Piekartz, Prof. Dr. Brigitte Tampin, Prof. Dr. Karsten Morisse und Prof. Sascha Wienhausen und Prof. Hauko Wessel zum Team.

 

Von: Jasmin Schulte