Was bedeutet Nachhaltigkeit an Hochschulen?
Das nachfolgende Interview für den „Wissenssnack“ hat Hochschul-Redakteurin Miriam Kronen mit Prof. Dr. Guido Grunwald geführt. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Marktforschung.
In seiner Forschung und Lehre am Campus Lingen befasst er sich mit Strategien und Instrumenten des Nachhaltigkeitsmarketings wie der gemeinsamen Wertschöpfung von Nachhaltigkeit, der Wirkung von Nachhaltigkeitskommunikation und -krisen. In seinem aktuellen Buchprojekt diskutiert er auf der Basis empirischer Befunde unter anderem, wie sich Nachhaltigkeitserwartungen der Studierenden und anderer Stakeholder möglichst unverzerrt durch Einsatz von Qualitätsmanagement-Tools in nachhaltige Wertangebote umsetzen lassen. Die Publikation wird voraussichtlich im Januar 2026 erscheinen.
Herr Professor Grunwald, was bedeutet der Begriff Nachhaltigkeit im Hochschulkontext?
Grundsätzlich meint Nachhaltigkeit soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen im Handel zu berücksichtigen, um die Lebensgrundlagen aktueller und zukünftiger Generationen auf einem gesunden Planeten zu bewahren. Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) formal festgelegt, die auch für Hochschulen einen wichtigen Orientierungsrahmen bei ihrer Nachhaltigkeitstransformation bieten.
Im Fokus steht dabei Nachhaltigkeitsziel Nummer 4, das von Hochschulen eine inklusive chancengerechte, hochwertige Bildung einfordert. Hochschulen spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen sowohl in ihrer eigenen Organisation als auch in der Gesellschaft. Das tun sie, indem sie nachhaltige Lehrpläne und Forschungsprogramme entwickeln, Campusaktivitäten und Infrastruktur ökologisch gestalten und auch Kooperationen und Beziehungen zu diversen Partner*innen eingehen.
Welche besondere Verantwortung sehen Sie dabei an Hochschulen?
Im Kern geht es um die Förderung eines nachhaltigen Mindsets der Studierenden. Das meint die Verankerung nachhaltiger Werte im Fühlen, Denken und Handeln der Studierenden. So werden die Studierenden in die Lage versetzt, Wandlungsprozesse bei ihren zukünftigen und zum Teil schon derzeitigen Arbeitgebern sowie in der Gesellschaft wirksam zu unterstützen. Genau darin sehe ich eine zentrale gesellschaftliche Verantwortung von Hochschulen.
Welche Rolle spielt Marketing dabei, Nachhaltigkeitsinitiativen einer Hochschule glaubwürdig zu kommunizieren?
Aus meiner Sicht muss man modernes Marketing beziehungsorientiert auslegen. Das heißt, es geht um die Gestaltung langfristiger Beziehungen zu seinen internen und externen Anspruchsgruppen oder modern ausgedrückt zu seinen Stakeholdern, um gemeinsame, auch nachhaltige, Werte zu generieren. Das bedeutet:
- Interne und externe Stakeholder sind frühzeitig einzubeziehen. Marketing fängt bereits bei der Konzeption, Planung und Entwicklung solcher Nachhaltigkeitsinitiativen an. Dabei sind die Nachhaltigkeitserwartungen der Stakeholder zu berücksichtigen, also deren Bedürfnisse.
- Nachhaltige Kommunikation sollte als wechselseitiger, dialogorientierter Prozess verstanden werden. Das schafft Authentizität. Das bedeutet, dass Stakeholder das Nachhaltigkeitsengagement der Hochschule als echte Sorge um ihre Stakeholder beziehungsweise um die allgemeine Gesellschaft empfinden.
- Um Authentizität und Glaubwürdigkeit in der Kommunikation zu fördern, sollten die Nachhaltigkeitsaktivitäten sehr eng mit den Kernbereichen der Hochschule in Verbindung stehen. Diese beinhalten Lehre und Forschung, Campusgestaltung, Campus-Projekte, die Öffentlichkeitsarbeit und den Transfer.
- Den Nachhaltigkeitsbekundungen sollten auch echte Handlungen folgen. Hochschulen sollten also nach außen nicht anders kommunizieren, als sie es nach innen leben, denken und fühlen.
An dieser Stelle setzt identitätsorientiertes Marketing an. Da geht es darum, einen Ausgleich und eine Übereinstimmung zwischen dem externen Markenimage und der internen Markenidentität zu schaffen. Je mehr Fremdbild und Selbstbild übereinstimmen, desto mehr Vertrauen und Bindung kann zu Stakeholdern aufgebaut werden. Das ist dann eine gute Grundlage für wirksame authentische Kommunikation.
Welche konkreten Chancen sehen Sie für Hochschulen, wenn sie Nachhaltigkeit in ihrer Strategie verankern?
Hochschulen sind wichtige Partner darin, nachhaltigkeitsorientiertes Wissen, Kompetenzen und auch Werte zu vermitteln, die darauf abzielen, ein nachhaltiges Mindset bei ihren Stakeholdern zu entwickeln. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, um über Multiplikatoreffekte das Thema in andere Organisationen hineinzutragen. Charakteristisches Merkmal von Hochschulen ist die Diversität ihrer Stakeholder. Das heißt, es kommen hier unterschiedliche Fachdisziplinen, Nationalitäten und Kulturkreise zusammen und das ist eine wesentliche Grundlage und auch ideale Voraussetzung für nachhaltigkeitsorientierte Forschung und Lehre. Hochschulen können auf Basis dieser Diversität Projekte und Innovationen entwickeln, Konzepte und Rahmenbedingungen aufbauen. Diese können dann auch ein Vorbild für die Gesellschaft und für die Region sein.
Ich sehe insbesondere eine große Chance für Hochschulen angewandter Wissenschaften, sich hier zu positionieren. Durch den unmittelbaren Anwendungskontext kann das Verständnis für Zusammenhänge im Bereich Nachhaltigkeit gefördert werden. Das leitet sich auch aus meiner eigenen empirischen Forschung ab. Diese hat im Ländervergleich gezeigt, dass Studierende unmittelbare, direkte Effekte einfordern für ein Mehr-Engagement in Bezug auf Nachhaltigkeit. Schließlich muss man sagen, dass Investitionen in die Nachhaltigkeitstransformation sich lohnen und Hochschulen insgesamt resilienter machen.
Was bedeutet das für die Hochschule Osnabrück bzw. den Campus Lingen?
Wichtig ist es, ganzheitlich nachhaltig zu denken und zu gestalten. Es einfach einer Stakeholder-Gruppe recht zu machen oder bestimmte Leuchtturmprojekte zu initiieren, reicht nicht aus. Ebenso müssen die Studiengänge grundsätzlich neu gedacht werden, vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsorientierung und es müssen vor allem auch weitere Anpassungen berücksichtigt werden. Das gilt beispielsweise für die Bereiche Campus-Betrieb, Öffentlichkeitsarbeit, Transfer.
So haben wir uns beispielsweise am Institut für Duale Studiengänge bei der Neu-Konzeption unserer dualen Bachelor-Studiengänge dafür entschieden, das Thema nicht einfach nur als Kernmodul oder Spezialisierungsrichtung zu integrieren, sondern ganzheitlich in den gesamten Pflicht- und Wahlpflichtmodul-Katalog zu verankern. So wird die Reflexion der Unternehmenspraxis unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten in jedem Modul gefördert.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für den Wissenssnack genommen haben.
Von: Miriam Kronen