Im Interview zum Wissenssnack „KoHaLa: Hebammenbetreuung neu denken“ berichtet Anna-Maria Bruhn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt KoHaLa an unserer Hochschule, wie eine kontinuierliche Betreuung durch Bezugshebammen im Team neue Perspektiven für Frauen und Hebammen schaffen kann.
Ausgehend von ihren Erfahrungen in Australien und internationalen Studien erläutert sie, welche Vorteile durchgängige Betreuungsmodelle für die Geburtserfahrung, die Gesundheit von Mutter und Kind sowie die Arbeitszufriedenheit von Hebammen bieten – und wie das Modellprojekt KoHaLa diese Erkenntnisse für das deutsche Gesundheitssystem nutzbar machen will.
Wie sieht die Betreuung durch Hebammen aktuell in Deutschland aus?
In der Schwangerschaft gehen Frauen in Deutschland zumeist zu niedergelassenen Gynäkolog*innen für die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen. Einige Frauen werden zusätzlich durch eine freiberufliche Hebamme betreut, z.B. bei Beschwerden in der Schwangerschaft. Hebammen können ebenfalls Schwangerenvorsorgeuntersuchungen durchführen, jedoch nehmen dies nur relativ wenige Frauen in Anspruch. Die Betreuung während der Geburt und der frühen Wochenbettzeit erfolgt bei einer klinischen Geburt durch die jeweils diensthabenden Hebammen und Ärzt*innen im Krankenhaus. Diese sind der Frau in der Regel unbekannt. Nach Entlassung erfolgt in der Regel eine ambulante Betreuung im Wochenbett durch eine freiberufliche Hebamme. Eine aktuelle Analyse von Routinedaten zeigt, dass ein beträchtlicher Anteil von Frauen auch gar keine Leistung von Hebammen in Schwangerschaft und Wochenbett erhalten. Im deutschen Gesundheitssystem besteht allgemein eine Trennung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. Auch in der geburtshilflichen Versorgung ist das so. Die ambulante Betreuung durch freiberufliche Hebammen während der Schwangerschaft, im Wochenbett und in der Stillzeit ist nur wenig mit der stationären Versorgung während der Geburt und in den ersten Tagen danach im Krankenhaus verknüpft. Von dieser fragmentierten Versorgung sind insbesondere diejenigen Frauen betroffen, die im Krankenhaus gebären, was derzeit bei etwa 98 % aller Geburten der Fall ist.
Sie haben das in Australien anders erlebt: Was sind die größten Unterschiede zu unserem deutschen Konzept?
In Australien werden zunehmend Betreuungsmodelle mit kontinuierlicher bzw. durchgängiger Hebammenbetreuung etabliert. Eines dieser Betreuungsmodelle nennt sich “Caseload Midwifery”, welches beispielsweise auch in Großbritannien, Dänemark und Schweden umgesetzt ist. Caseload Midwifery ist ein Versorgungskonzept, bei welchem eine primäre Bezugshebamme innerhalb eines kleinen Hebammenteams eine definierte Anzahl an Frauen bzw. Familien durchgängig während der gesamten Zeit von Schwangerschaft, Geburt und früher Elternzeit betreut. In Australien sind die Hebammen dabei beim Nationalen Gesundheitsdienst angestellt und bekommen ein regelmäßiges monatliches Gehalt mit einem Aufschlag für die Arbeit in Rufbereitschaft. Die Hebammen im Caseload Modell lernen die Frauen, die sie rundum betreuen, bereits in der Schwangerschaft bei den Vorsorgeuntersuchungen kennen und kommen bei Geburtsbeginn mit ins Krankenhaus. Die Bezugshebammen arbeiten dabei im Team und haben feste freie Tage sowie eine begrenzte Arbeitszeit am Stück. Dieses Versorgungsmodell ist jedoch als Zusatzangebot zur üblichen Betreuung im Schichtdienst zu verstehen. Nur ein gewisser Anteil der Frauen wird auf diese Weise betreut.
Welche Vorteile ergeben sich daraus für die Frauen?
Studienergebnisse aus diesen Ländern zeigen auf, dass eine durchgängige Versorgung durch Bezugshebammen im Team, im Vergleich zur üblichen Versorgung, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine interventionsarme Geburt und mit einer erhöhten Zufriedenheit der Frauen in allen Bereichen der Betreuung verbunden ist. Einige Studien zeigen auch eine niedrigere Kaiserschnittrate und geringeren Schmerzmittelbedarf bei einer Betreuung mit Caseload Midwifery. Frauen, die in einem solchen Modell betreut wurden, hatten auch eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit eine positive Geburtserfahrung zu machen und erlebten häufiger das Gefühl der Selbstkontrolle während der Geburt.
Und wie profitieren die Hebammen davon?
Hebammen, die in Modellen durchgängiger Hebammenbetreuung im Team arbeiten, empfinden laut qualitativen Studien häufig eine sehr hohe Arbeitszufriedenheit. Diese resultiert vor allem daraus, dass Hebammen im Rahmen von Betreuungsmodellen wie "Bezugshebammen im Team” autonom und flexibel arbeiten und Familien individuell begleiten können. Dadurch haben Hebammen das Gefühl, eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten und eine bedeutungsvolle Tätigkeit auszuüben. Quantitative Studienergebnisse zeigen weiterhin, dass in Modellen durchgängiger Betreuung innerhalb eines kleinen Teams das Burn-out-Risiko, im Vergleich zur Arbeit im Schichtdienst, gesenkt ist. Insgesamt ist es ein Arbeitsmodell, das aus verschiedenen Gründen attraktiv für Hebammen sein kann und sogar das Potenzial hat, die persönliche Work-Life-Balance zu verbessern. Es ist jedoch aufgrund der Rufbereitschaft eine Arbeitsform, die nicht für alle Hebammen in jeder Lebenslage passend oder umsetzbar ist.
Wo steht Ihr Forschungsprojekt gerade?
Das Projekt KoHaLa soll als Modellprojekt erste Grundlagen für die Versorgung mit durchgängiger Hebammenbetreuung im Team in Deutschland schaffen. Dazu entwickeln wir gerade gemeinsam mit den Kooperationspartnern Niels-Stensen-Kliniken Marienhospital Osnabrück und BARMER Ersatzkasse Verträge und Rahmenbedingungen, die diese neue Form der Betreuung möglich machen. Einige Leistungen können die Bezugshebammen im Team dann nur über einen Selektivvertrag mit der BARMER Ersatzkasse abrechnen, da es ein neues Konzept für Deutschland ist. Die Kooperation mit weiteren Krankenkassen wird derzeit angebahnt. Außerdem informieren wir (werdende) Hebammen über dieses neue Arbeitsmodell und initiieren die Bildung eines ersten Teams von Bezugshebammen. Interessierte Hebammen können sich gerne noch bei uns melden.
Von: Katharina Lutermann