Prof. Dr. Bernd Ruping ist seit 25 Jahren Professor für Darstellende Kommunikation und Theaterpädagogik am Standort Lingen der Hochschule Osnabrück. Im September 2000 übernahm er die Leitung des Instituts für Theaterpädagogik (ITP) und wurde drei Jahre später Studiendekan. Er war unter unter anderem verantwortlich für die curriculare Entwicklung und die Verschaltung der theaterpädagogischen Lehre mit der soziokulturellen Infrastruktur der Region. Als ein Ergebnis seiner Forschung konzeptionierte er, in Kooperation mit dem Institut für Duale Studiengänge (IDS), das Format der „Theatralen Organisationsforschung“.
Herr Prof. Ruping, wenn Sie auf die vergangenen 25 Jahre zurückblicken, was sind Ihre drei Meilensteine?
Ein Meilenstein war ohne Zweifel, als im Wintersemester 1995 die damalige Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, Helga Schuchardt, diesen schönen Satz sagte: „Nun studiert mal schön.“ Das war der Startschuss für den Standort Lingen der FH Osnabrück - nicht zufällig gegeben auf der Bühne des Theaterpädagogischen Zentrums. Erstes Motiv der Ministerin war, die kulturelle Bildung an der Peripherie des Landes zu befördern, nicht nur an den Oberzentren.Für mich persönlich war dann natürlich meine Berufung zur Professur für Darstellende Kommunikation und Theaterpädagogik, 1998, und deren Entfristung im März 2000 ein Meilenstein. Damit war etwas festgeschrieben, auf dem man aufbauen konnte. Ein weiterer Meilenstein war die Einführung des grundständigen Diplom-Studiengangs Theaterpädagogik im Jahre 2005, ein Ziel, auf das ich über eine Dekade, unter anderem im Bundesverband Theaterpädagogik, zugearbeitet habe.
Gibt es noch eine weitere bedeutende Etappe?
Prägend war sicherlich die recht chaotische Anfangsphase, als weder Verwaltungsstrukturen noch transparente Prozesse etabliert waren: offenes Gelände, aber auch abschüssig! Ich erinnere mich deutlich, wie ich mit dem damaligen Leiter der Berufsakademie, Thomas Steinkamp, und mit Peter Szyszka, der für das Kommunikationsmanagement verantwortlich zeichnen sollte, eine Art Triumvirat bildete. Wir schlugen in der Regel recht wohlgemut im Senat auf, der nicht ohne Skepsis das Treiben in Lingen verfolgte. Und wir beschlossen zum Beispiel auf der gemeinsamen Hinfahrt, dass jeweils der eine den anderen vertritt und wir nicht nur aus der engen Blase unserer Disziplin reden. Das war eine tolle Aufbruchsstimmung, die uns trieb und die das Ganze wirklich befördert hat.
Wodurch zeichnet sich das ITP für Sie aus?
Das ITP ist ein Begegnungsraum – der Menschen und der theaterpädagogischen Formate und Selbstverständnisse. Es ist fest etabliert in einer starken Hochschule, die profilbildenden Stellen sind entfristet, so dass alle Energie sich auf die Entwicklung der Theaterpädagogik und ihrer Berufsfelder richten kann. Das Spektrum spannt sich da von ästhetisch-performativen Formaten über die theaterwissenschaftliche Forschung und Lehre bis hin zu Interventionsformen im sozialen Feld, von denen das Institut ja seinen Ausgang nahm. So entstand aus der regionalen Kulturarbeit des Theaterpädagogischen Zentrums, ich war da über eine Dekade (!), ein Verständnis von Theaterpädagogik, das gleichsam auf Studierbarkeit wartete. Mir ging es darum, eine Form von Lehren und Lernen zu etablieren, die die Komplexität von Wirklichkeit nicht spektakularisiert, sondern aus der Begegnung mit den Menschen vor Ort, egal welchen Alters oder welcher Provenienz, Gestaltungsformen entwickelt.
Was bedeutet das genau?
Sehr wichtig für unser Curriculum ist dabei der Begriff der „Haltung“. Damit verbunden sind viele Fragen: Wie halten wir uns in den Strom des Geschehens? Wo halten wir gegen? Was macht uns aus? Was ist von spezifischer, was von universeller Bedeutung? Wir müssen – und zwar nicht ich nur als alter, weißer Mann! - damit umgehen, dass am Standort sehr verschiedene Menschen zusammentreffen, die von unterschiedlichen Kulturen und Selbstverständnissen geprägt sind. Die Lehre, und das spüren wir gerade überdeutlich(!), ist schwer abhängig von dem, was die Studierenden so mitbringen. Nur aus dem, was wir als Wissen, Kenntnis, Handwerk anzubieten haben, und dem, was die Studierenden dabeihaben, lässt sich eine Haltung bilden, die den individuellen Bedürfnisse Raum gibt und den gesellschaftlichen Erfordernissen standhält. Den eigenen Habitus rahmen zu können und ihn in der Interaktion mit den Anderen gestaltbar zu halten, bildet für mich den Kern der theaterpädagogischen Lehre. Davon lebt jede Bühnenpräsenz; davon lebt aber, viel wichtiger noch, auch unsere Präsenz und Widerständigkeit in den Logiken eines verwertungsorientierten Alltags und seiner Kulturen.
Was verbinden Sie persönlich mit dem ITP?
Ich bin ein Fachmann für das Theater der Unterdrückten und für Brechts Lehrstücktheater. Damit beschäftige ich mich seit mindestens 35 Jahren, und man könnte sagen: Das ist alles Routine. Was mich da rausholt und nach wie vor massiv berührt, ist der Moment, wenn sich Studierende in diesen Formaten zeigen, sich darin „aufs Spiel setzen“. Dann stehe ich da, ganz frisch und routinefrei, und staune oder bin erschrocken, je nachdem, welche Geschichte präsentiert wird. Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer noch mich mit meinen Erfahrungen, aber in dieser Kombination entsteht etwas Drittes. Etwas, das ich vorher nicht kannte, das auch vor den überlieferten Methoden nicht haltmacht. Und das ist genau das, was diesen Beruf so einzigartig und herausfordernd macht.
Welche Zukunftswünsche haben Sie für das Institut?
Mein Wunsch ist, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen nicht von den Zumutungen, mit denen wir es heute zu tun haben, zermürben lassen. Dass sie Formen von Kollektivität im Team, die es bei uns – aus der Not des Beginnens(!) - immer gab, weiter pflegen und neu beleben. Eine klassische hierarchische Führung ist weder fachdienlich noch als Verkehrsform angebracht, das ist meine tiefe Überzeugung. Wichtig erscheint mir, dass aus dem ganzen Tumult der Neubesetzungen – die ein Glück sind für die Zukunft, und doch immens viel Kraft kosteten(!) - solidarische Verbindungen entstehen, auf dass dieses kleine Institut den Einschlägen von innen und von außen standhalten kann. Ich wünsche allen Protagonist*innen im Rahmen der Institutsleitung und der verschiedenen Rollenprofile eine gute Hand, einen aufrechten Gang und ganz viel Kraft!
Wie geht es nun für Sie weiter?
Ich möchte einfach mal mit mir selbst spazieren gehen. Das Amt des Studiendekans hat sehr viele Verpflichtungen mit sich gebracht, die ich nun gerne abgebe. Ich möchte eine bestimmte Leere - dieses Mal mit zwei „ee“ - spüren und offen sein für das, was dann so alles auf mich zukommt. Eine kleines „Spielbein“ habe ich mir an der Hochschule dennoch erhalten. Ich leite in dem großen Hochschulprojekt GROWTH das Teilvorhaben „Stages of Change - Diskurstheater“, in dem wir in öffentliche Räume gehen, um den Transfer zwischen Wissenschaft und den Menschen vor Ort herzustellen und zu befördern – erstes Thema: nachhaltige Ernährung!
Außerdem wünsche ich mir, dass ich hin und wieder auch einen kleinen Lehrauftrag übernehmen kann. Denn die Begegnung mit den Studierenden ist etwas, was einen das eigene Alter vergessen macht. Zudem spiele und singe ich in einer Band namens „YAYA“. Wir sind alle gut über 65 - wundervolle Menschen fernab der akademischen Verkehrsformen: Rock´n´Roll! Dann ist da noch eine zweite Männergruppe, mit der ich alle zwei Jahre in See stechen darf. Diese Frequenz wollen wir nun deutlich erhöhen. Aus dem Institut gehe ich mittlerweile – und einfach war das nicht! - mit dem guten Gefühl: Ich kann gehen, es geht ohne mich weiter. Wohlan - jetzt soll´n mal die Jüngeren ran!
Von: Miriam Kronen