Geeignete Methoden für Praxistransferprojekte – Teil 2: Die Dokumentenanalyse Freitag, 28. Oktober 2022

Das Foto zeigt einen Stapel Hefte.
Foto von Bernd Klutsch

Praxistransferprojekte (PTPs) stellen einen festen Bestandteil des dualen Studiums am Campus Lingen dar, um Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. In einer vierteiligen Reihe stellen wir deshalb verschiedene Methoden für die Praxisforschung vor. In diesem Beitrag geht es um die Dokumentenanalyse.

PTPs sind schriftliche Ausarbeitungen, in denen dual Studierende eine betriebliche Fragestellung theoriegeleitet bearbeiten müssen. Hintergrundinformationen bieten die Beiträge „Praxistransferprojekte und ihre Bedeutung für das duale Studium“ und „Tipps und Tricks fürs nächste PTP“ (s.u.). Im ersten Artikel dieser Reihe haben wir die Methode der Beobachtung vorgestellt. Im nächsten Teil folgt die Arbeitsplatzanalyse.

Zur ersten Einordnung der Dokumentenanalyse ist ein Vergleich zur Literaturanalyse hilfreich. Während die Literaturanalyse systematisch wissenschaftliche Literatur betrachtet (Publikationen wie Fachartikel, wissenschaftliche Studien etc.), wird in der Dokumentenanalyse auf Dokumente zugegriffen, die in der Praxis am Arbeitsplatz verwendet werden. Bei der Erhebung und Auswertung von Unternehmensdaten kommt der Dokumentenanalyse daher eine ganz zentrale Stellung in der Praxisforschung zu.

Vorliegen können die Dokumente in Papierform, in audiovisueller Form oder auch in elektronischer Form, wie z. B. Prozessbeschreibungen, Auszüge aus Datenbanken wie Bestelllisten, Kundenverzeichnisse, E-Mails, Reklamationsformulare, Maschinendaten, betriebsbezogene Webseitendaten auch Auszüge aus dem Intranet, Verkaufsvideos, Anleitungen sowie betriebsbezogene Social-Media-Daten.

Ziel und Anwendung der Dokumentenanalyse

Wie die Beobachtung zielt auch die Dokumentanalyse darauf ab, Kenntnisse über einen bestimmten Istzustand zu gewinnen. Die Erfassung kann sich auch hier auf Handlungsabläufe, Prozesse, Organisationsstrukturen und Regelungen in Beziehungsstrukturen beziehen.

Im Vergleich zu einer Beobachtung liefert die Dokumentanalyse, meist in schriftlicher Form, Information über die Zustände in diversen Betriebsbereichen. Damit grenzt sie sich deutlich von der Beobachtung ab, da keine Daten von beobachtenden Personen erhoben werden. Die Dokumentenanalyse muss, wie die Beobachtung auch, anhand von im Vorfeld festgelegten Kriterien durchgeführt werden.

Ablauf einer Dokumentenanalyse

Ausgangspunkt der Dokumentenanalyse bildet die Definition der Ziele, die mit der Analyse erreicht werden sollen: z. B. Kenntnisgewinn zu der Anzahl an Reklamationen in den letzten drei Quartalen oder der Art der Kundenreklamationen. Danach ist zu klären, wie diese Ziele gemessen werden – also welche Daten überhaupt benötigt werden.

Analysekriterien

In dieser Phase der Analyse werden die Messkriterien mit Blick auf die Forschungsfrage nach einem induktiven oder deduktiven Vorgehen festgelegt. Induktiv bedeutet, dass Phänomene aus der Praxis in Kriterien überleitet werden. Deduktiv bedeutet, dass die Kriterien aus der Theorie abgeleitet werden. Anschließend werden sie mit den Zielen der Erhebung abgeglichen, um deren Erreichung sicherzustellen. Für das Thema Reklamation könnte bspw. wie folgt vorgegangen werden: In entsprechender Literatur könnte recherchiert werden, was unter Reklamation zu verstehen ist, in welcher Form Reklamationen geäußert werden, über welche Kanäle sie kommuniziert werden und auch – ein häufig vergessener Bereich – wie Unternehmen auf Reklamationen reagieren.

Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Daten valide sind (Datenvalidität). Geben die angestrebten Daten wirklich Auskunft über das, was gemessen werden soll? Es wird also die wissenschaftliche Güte der zu beschaffenden Daten geprüft, bevor die Auswahl der entsprechenden Dokumente erfolgt.

Die Auswahl der Dokumente

Nun ist zu prüfen, aus welchen Dokumenten die benötigten Daten beschafft werden können und in welcher Form die Dokumente vorliegen (elektronisch, Papier, Radiobeitrag etc.). Hier tritt häufig das Problem auf, dass die Dokumente nicht allgemein zugänglich sind, sodass zu klären ist, welche Personen die Nutzung der entsprechenden Dokumente genehmigen können.

In diesem Schritt geht oft viel Potenzial verloren, weil nur die „subjektiv naheliegenden“ Dokumente (also nur solche, die auf den ersten Blick ins Auge fallen), als geeignet angesehen werden. Daher empfiehlt es sich, zunächst eine vollständige Übersicht über alle vorhandene Dokumente zu erstellen, in denen Daten vermutet werden und erst dann gezielt die Auswahl vorzunehmen. Um eine vollständige Übersicht zu erstellen, bietet sich z.B. die Arbeitsplatzanalyse an, die im nächsten Beitrag behandelt wird. Mit dieser kann festgestellt werden, welche Dokumente an welchem Arbeitsplatz vorliegen (müssten) und welche Stellen oder Abteilungen ebenfalls mit den zu untersuchenden Dokumenten in Verbindung stehen.

Die Analyse

Nun kann die eigentliche Analysearbeit beginnen. Entlang der Messkriterien werden zu Beginn die Dokumente nach den Daten durchsucht. Dabei liegen die gewünschten Informationen meist nicht direkt in der gewünschten Form vor, sondern sind aus Texten abzuleiten. Dafür werden Verfahren der qualitativen (bspw. nach Mayring) und quantitativen Inhaltsanalyse genutzt. Hier ist es wichtig, deutlich zu belegen, wie aus einem Dokument Informationen/Daten extrahiert werden. Abschließend werden die Informationen/Daten entsprechend der festgelegten Untersuchungskriterien geordnet und dargestellt und es kann dann die Interpretation der Daten erfolgen. So kann z.B. eine Kundenmail, in der der*die Kund*in einen bestimmten Zustand reklamiert/bemängelt, untersucht werden. Aus den formulierten Sätzen werden dann die notwendigen Informationen abgeleitet.

Zitation

Wichtig ist, dass Dokumente nicht wie Literatur zitiert werden – Dokumente sind keine Literatur. Dokumente benötigen ein eigenes Dokumentenverzeichnis, das zusätzlich zum Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit aufgeführt wird.

Praktische Einsatzmöglichkeiten von Dokumentenanalysen

Dokumentenanalysen sind vielfältig einsetzbar und für die Nutzung in PTPs lassen sich einige praktische Beispiele finden. Die nachfolgend aufgeführten Themen haben lediglich Beispielcharakter und bilden nur eine äußerst geringe Auswahl an möglichen Einsatzfeldern ab.

So könnten Forschende beispielsweise veröffentlichte Pressemitteilungen von verschiedenen Unternehmen zu einem Thema analysieren. Eine andere Möglichkeit stellt die Analyse von Kassenzetteln von Wocheneinkäufen bei verschiedenen Kund*innengruppen dar. Außerdem bietet sich im Rahmen der Dokumentenanalyse die Möglichkeit, Maschinendaten in der Produktion oder Versuchsprotokolle in Laboren und Entwicklungsabteilungen gezielt auszuwerten. Darüber hinaus könnten Forschende/Studierende mithilfe der Methode Bestellformulare oder Dokumente aus Serviceportalen für Kund*innen analysieren, um Informationen über zukünftige Produktanforderungen zu erhalten.

Tiefergehende Informationen zur Methode der Dokumentenanalyse gibt es in der Bibliothek. Tauschen Sie sich gerne auch fachübergreifend mit (dualen) Kommiliton*innen zu dieser Methode aus. Fragen Sie ggf. Ihre*n Studienbetreuer*in nach weiteren Studierenden, die die gleiche Methode wie Sie verwenden. Falls Sie Fragen zu den PTPs haben, sollten Sie sich im ersten Schritt an Ihre Lehrenden wenden. Diese können Ihnen die Anforderungen mitteilen und bei der Wahl geeigneter Methoden helfen. Außerdem kann Sie das Büro für Studierenden- und Unternehmensbetreuung des IDS unterstützen.

 

Literatur und Empfehlungen:

Denz, H. (1989): „Einführung in die empirische Sozialforschung - Ein Lern- und Arbeitsbuch mit Disketten“. Springer, Wien. S. 28-30.

Döring, N. & Bortz, J. (2016): „Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften“. Springer, Berlin, Heidelberg. S. 533-578.

Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse (12. Auflage). Weinheim/Basel: Beltz Verlag.

Schmidt, W. (2017): „Dokumentenanalyse in der Organisationsforschung.“ in: Baur, N. Hrsg. & Blasius, J. Hrsg. (2017): „Handbuch Empirische Organisationsforschung“ (2017). Springer Gabler, Wiesbaden. Seite 443-466.

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